Achtung Volkszählung! Attenzione al censimento!
80 Eigenart” ein immer stärker rassistisches Apartheidssystem entsteht und systematisch perfektioniert wird? Merkt ihr nicht, wie die Spaltung, die Blockbildung, die Spirale des Gegensatzes und der Provokation zunimmt – soweit, daß man sogar von Teilung des Landes zu schreiben beginnt? Die Volkszählung 1981 sollte dieses System krönen – ein Grab- stein, der über die Möglichkeit einer neuen, komplizierten, viel- schichtigen und mehrsprachigen Südtiroler Identität gelegt wird. Ausblick auf Proporzistan In Proporzistan gab es, ähnlich wie bei uns, Kranke und Gesunde, Blonde und Dunkle, Dicke und Dünne, Junge und Alte. Da fiel je- mandem auf, daß es in der Gesellschaft nicht immer gerecht zuging – und man erfand, zur Lösung sämtlicher Probleme und zur Siche- rung immerwährender Gerechtigkeit, das Proporzsystem: alle zehn Jahre zählte man die Menschen: soundsoviel Kranke und soundsoviel Gesunde, soundsoviel Blonde und soundsoviel Dunkle, soundsoviel Dicke und soundsoviel Dünne, soundsoviel Junge und soundso viel Alte. Man rechnete die Verhältniszahlen aus, und von da an wurde das Essen, der Sonnenschein und die Lottogewinne – aber auch alles andere proporzgerecht verteilt. Es schien zwar äußerst kompliziert, aber auch äußerst gerecht: man mußte nämlich bei jedem Mahl be- rücksichtigen daß die Geladenen in entsprechender Anzahl krank und gesund, blond und dunkel, dick und dünn, jung und alt waren. Nicht nur war es oft sehr schwierig, all diese Proporzzahlen übereinstim- men zu lassen – dazu bedurfte es schon sehr großer Gelage, denn bei fünf Mitessern fiel das Kalkül sozusagen unmöglich aus. Schlimmer war, daß im Lauf der Zeit mancher Kranke gesundete und manchen Gesunden eine Krankheit befiel, daß manchem Blonden und man- chem Dunklen überhaupt die Haare ausfielen, daß die Jungen älter und die Alten toter wurden – und überhaupt gar mancher schwer zu definieren war, was besonders bei den Dicken und Dünnen auffiel, da fast keiner sich als echt dick empfand. Es gab zwar noch ein paar Stänkerer, die fanden, andere Proporz
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